Mit etwa sechs Monaten kommt der Hund in die Pubertät. Aus einem süßen Welpen wird auf einmal ein Pubertier. Die Pubertät ist die Zeit im Leben eines Hundebesitzers, in der er sich ernsthaft fragt: „Warum um Gottes Willen habe ich mir überhaupt einen Hund angeschafft?“
Plötzlich kennt der Hund die einfachsten Grundkommandos nicht mehr. Er schaut sich um, welcher blöde Hund nun „Sitz“ heißen soll. Er ist launisch und unausgeglichen. Die Phase der Pubertät kann Hundehalter zur Verzweifung bringen. Sie dauert im Normalfall zwischen 1 bis 2 ½ Jahre, je nach Rasse.
Inhalt
Hormone und Hirnzellen
Spektakulär sind die Vorgänge unter der Schädeldecke des Teenies. Dort wird das Gehirn regelrecht umgebaut: Unter Einfuss von Hormonen sterben manche Hirnzellen ab, uneffziente Verbindungen werden gekappt und viele Neuronen neu verdrahtet. Durch neue bildgebende Untersuchungsmethoden konnte nachgewiesen werden, dass das Gehirn zu Beginn der Pubertät einen regelrechten Wachstumsschub erlebt.
Vor allem im vorderen Bereich des Gehirns, dem präfrontalen Cortex, im dem Impulse und Regungen gehemmt oder gesteuert werden. Es werden eigene Gehirnareale aufgebaut, die nur eine Aufgabe haben: Das Infragestellen alles bisher Gültigen. Dieses Hinterfragen hat die Aufgaben, festzustellen, ob die Rudelstruktur auch in schwierigen Zeiten zusammen hält und die vermittelte Basissicherheit der Bezugsperson wirklich sicher ist.
Kleinhirn und Stirnlappen
Die Reifung des jugendlichen Gehirns geschieht nicht gleichmäßig, sondern von hinten nach vorne, denn dieser Prozess beginnt im Kleinhirn und endet im Stirnlappen. Da der Stirnlappen vor allem für Kommunikation, für die Planung von Handlungen und das Unterdrücken von Impulsen zuständig ist, können diese spezifischen Funktionen während dieser Zeit beeinträchtigt sein.
Wenn der Hund in dieser Zeit also schlechter „hört“, ist er neurobiologisch eventuell auch wirklich nicht in der Lage, das Kommando zu befolgen. Die Pubertät ist genetisch festgelegt. Der Beginn und der Verlauf der Pubertät wird nach neuesten Kenntnissen in erster Linie genetisch gesteuert. Oft werden die Veränderungen des Hundes in dieser Zeit mit dem Anstieg von Geschlechtshormonen erklärt. Über die genauen Zusammenhänge zwischen Sexualhormonen einerseits und Psyche, Stoffwechsel und Immunsystem andererseits wird zur Zeit viel geforscht.
Nerven und Gehirnverbindungen
Die Flegelzeit des Hundes kann man vergleichen mit der Pubertät bei jungen Menschen. Diese Zeit ist für junge Hunde ebenso wie für junge Menschen eine anstrengende Angelegenheit. Setzt man jetzt das Alter des Hundes (10 Monate) im Kontext zum menschlichen Alter (ohne die rassespezifsche Entwicklung des Hundes zu berücksichtigen) entsprechen diese 10 Monate etwa einem 15 jährigen Menschen.
In der Pubertät kommt es zu einer rigorosen Aufräumaktion, das Gehirn setzt Schwerpunkte. Nervenverbindungen, die häufg benutzt werden, bleiben bestehen, alles andere wird entrümpelt. Das Myelin (ein Fett-Protein-Mantel), welches die langen Fortsätze (Axone) der Nervenzellen (Neuronen) umschließt, tritt im Alter von 6 – 24 Monaten um volle 100 % mehr auf. Die Nerven-Signale laufen dadurch bis zu 400 mal schneller. Allerdings hat diese Effzienz ihren Preis: Gehirnverbindungen sind nun starrer und nicht mehr so fexibel.
So ist es zu erklären, dass es erwachsenen Hunden schwerer fällt als jungen Hunden, neue Dinge zu erlernen, da ihr Gehirn sich bezüglich der eigenen Fähigkeit festgelegt hat. Das Gehirn setzt seine Schwerpunkte nach Formen und Arten der Reizung. Dies kann durch intellektuelle Beschäftigung gefördert werden, wie Imitationslernen, Lernen durch Ausschlussverfahren. Körperlich kommt der Hund nun langsam zum Endstadium.
Das Längenwachstum wird in dieser Zeit ab geschlossen. Der Hund, insbesondere die Rüden, werden im vorderen Bereich breiter und insgesamt muskulöser. Dafür werden die Hündinnen in diesem Wachstumsstadium zumeist früher geschlechtsreif als die Rüden.
Geduld und Konsequenz
Was also tun, wenn Fiff pubertiert? Ruhe bewahren, souverän erscheinen und das Verhalten des Hundes nicht persönlich nehmen, denn der Hund möchte nicht die einzelne Person testen, sondern die komplexe Situation. Von Anfang an den Hund erziehen, mit klaren für den Hund verständlichen Regeln, ohne Gewalt, aber auch ohne Herzilein-Syndrom. Provokationen in erster Linie ignorieren, nur im Notfall korrigieren.
Das Wort „Konsequenz“ noch mal überdenken. Es sollte nicht durch Konsequenz zu einer Verhärtung der Fronten kommen. Streitet man sich mit dem Hund um die Durchsetzung eines Kommandos, wird die weitere Erziehung immer ein Kampf bleiben. Es entsteht ein Teufelskreis, in dem jede Partei gegen die andere kämpft.
Beide Seiten sind genervt und nicht mehr kompromissfähig. Im schlimmsten Fall entsteht eine Gewaltspirale. Keiner ist mehr glücklich in dieser Beziehung. Konsequenz sollte nicht ein unbedingtes Durchsetzen von Kommandos mit allen Mitteln sein. Es sollte eher ein konsequentes Arbeiten an der Durchsetzung der Kommandos durch Überzeugungsarbeit sein.
Der Hund muss merken, wie wichtig für ihn unsere Kommandostrukturen sind und dass diese für ihn Sicherheit und Spaß bringen können. Daher sollte man auf den Erfolg hinarbeiten. Dies kann auch bedeuten, dass man auch mal ein paar Schritte von dem Erziehungsstand zurückgeht, auf dem man eigentlich gerade steht. Mit Ruhe und Gelassenheit baut man es dann wieder auf. So wird aus einem „Pubertäter“ ein Partner auf vier Beinen.
Beitrag und Fotos von Erik Kersting, Hundeerzieher und Verhaltensberater, Geschäftsführer „Canis familiaris” GmbH www.canis-familiaris.de